Fördert beidhändiges Tennis die seelische

und körperliche Gesundheit?

 

Prof. Dr. Kurt Fritzsche                                                                    

 

Neben den allgemeinen Vorteilen, die beidhändiges Tennis durch seine leichte Erlernbarkeit und sofortige erfolgreiche Umsetzung auch bei Kindern und körperlich eingeschränkten Menschen bietet, möchte ich auf zwei Besonderheiten hinweisen:

1. Die Förderung des Austauschs zwischen beiden Gehirnhälften 

Das Grosshirn ist in zwei Hemisphären aufgeteilt, von denen die linke mehr für analytisches, rationales und logisches Denken, sowie die Sprache zuständig ist. Die rechte Hälfte nimmt eher bildhaft und ganzheitlich auf. Sie steht für räumliches, kreatives und gefühlsmässiges Erfassen und sich Ausdrücken.

Für Kreativität, ganzheitliches Denken, Wahrnehmen und Ausdrücken emotionaler Bedürfnisse sind nun der ständige Austausch, die Wechselwirkung und das Zusammenspiel zwischen beiden Hirnhälften erforderlich. Beide Seiten sind wichtig, aber am wichtigsten erscheint die kreative Verknüpfung. Durch eine solche stabile Brücke zwischen beiden Gehirnhälften verbessern sich nachweislich Lernqualität, Aufnahmebereitschaft und Merkfähigkeit.

Beispiel aus dem Bereich der psychosomatischen Medizin:

Die psychosomatische Forschung beschäftigt sich schon seit langem mit Patienten, die eine Reihe von jahrelang bestehenden körperlichen Beschwerden haben, ohne dass sich dafür eine ausreichende organische Erklärung findet. Einigkeit besteht darüber, dass diese Menschen unfähig sind, Gefühle direkt auszudrücken bzw. seelische Belastungen wahrzunehmen und darüber zu sprechen. Stattdessen wählen sie den Weg über eine Körpersprache. Eine neurobiologische Theorie (Miller L.: Neuropsychological concepts of somatoform disorders. Int. J. Psychiatry Med. 1984; 14; 31-46) vermutet eine gestörte oder ungenügende Kommunikation zwischen beiden Hemisphären, so dass die Ausdrucksfähigkeit für emotionale Prozesse gehemmt ist. Eine Verbalisierung von emotionalen Vorgängen erfordert eine ungestörte Kommunikation zwischen rechter und linker Hemisphäre. Das gleiche Phänomen findet sich bei Patienten, bei denen die Verbindung zwischen beiden Hemisphären entweder anlagemässig oder durch operative Eingriffe und Teilung des Corpus callosum getrennt ist. (Miller, 1984)

Das Zusammenspiel zwischen beiden Gehirnhemisphären kann durch regelmässiges Üben, z.B. bei Rechtshändern mit der linken Hand (Schreiben, Bälle fangen, Besteck wechseln), geübt werden. In diesem Sinne trägt auch das beidhändige Tennisspielen zu dem Synchronisationsprozess der beiden Hirnhälften bei.

Interessant wären nun Untersuchungen zu der Frage, ob mit Hilfe des beidhändigen Tennis die Wahrnehmung für die Wechselwirkung zwischen psychischem Befinden und körperlichen Symptomen zunimmt und parallel dazu sich die Ausdrucksfähigkeit für emotionale Prozesse verbessert.

 

2. Rückenschmerzen (Lumbago-Ischialgie-Syndrome) 

Rückenschmerzen als psychosomatisches Phänomen 

Der Ort, an dem sich Rückenschmerzen manifestieren ist psychosomatisch bedeutsam. Am lumbo-sacralen Übergang findet phylo- und ontogenetisch die Aufrichtung statt. An der Grenze zwischen dem unbeweglichen, embrional gebeugten und dem beweglichen, aufgerichteten Wirbelsäulenabschnitt wirken sich nicht nur die Last des Körpers, sondern auch Konflikte zwischen Autonomie- und Abhängigkeitsbedürfnissen besonders aus.

Die Bandscheibe unterhält ihren Stoffwechsel auf osmotischem Wege durch Druckschwankungen: Wasseraufnahme in entspanntem Liegen, Abgabe von Wasser und Schlackstoffen bei Belastung im Stehen und Sitzen. Die Versorgung der Bandscheibe leidet nicht durch vorübergehende Überlastung sondern durch Daueranspannung, aber auch durch anhaltende Entlastung. Durch die Biomechanik wird verständlich, dass bei fehlendem Rhythmus zwischen Anstrengung und Erholung die Bandscheibe vorzeitig austrocknet, degeneriert und, in Situationen vermehrter Anspannung, schliesslich prolabiert und eine Wurzelkompression mit neurologischen Ausfällen verursacht. So kommt es, dass sowohl die gespannte Übermotorik bei ängstlichen, angespannten und unruhigen Menschen als auch die Bewegungsarmut bei eher depressiven Rückenschmerz-Patienten lumbale Schmerzen hervorrufen.

Der Rücken ist der Selbstwahrnehmung weitgehend entzogen. Die autochthone Muskulatur, d.h. die Muskulatur, die an Ort und Stelle eigenständig entstanden ist, nimmt anatomisch und funktionell eine Sonderstellung ein. Diese Muskeln vollziehen die embryonale Wanderung der übrigen Muskeln nicht mit. Sie werden auch anders als die übrige quergestreifte Muskulatur vom Ramus dorsalis des Nervus spinalis versorgt, der segmental mit dem Grenzstrang des Sympathicus verbunden ist. So nehmen diese Rückenmuskeln eine Zwischenstellung zwischen der glatten, vegetativ versorgten und der Extremitäten-Muskulatur ein. Wiewohl quergestreift, arbeiten sie vorwiegend unwillkürlich in Form unbewusster Mitbewegung bei Willkürbewegungen der Extremitäten. Sie erzeugen die Haltung des Rückens, die von innen kommt und der Willkür entzogen ist, etwa eine gedrückte bei eher depressiven oder eine überaufrechte, „stolze Haltung“ bei selbstbewussten Persönlichkeiten.

Rückenschmerzen haben also sozusagen zwei Gesichter, „ein physisches und ein psychisches, gegen die man gleichzeitig vorgehen muss“ (von Weizäcker: Fälle und Probleme. Enke, Stuttgart, 1947).

Oft findet sich bei Patienten mit massiven, jahrelangen Rückenschmerzen kein organisches Korrelat, das die Intensität der Beschwerden erklärt. Auch hier vermuten wir, dass die körperlichen Schmerzen Ausdruck nicht wahrgenommener psychosozialer Belastungen sind, die sich auf diesem Wege ausdrücken. Die Selbstwahrnehmung für körperlich-seelische Prozesse ist durch eine jahrelange ungesunde Lebensweise verlorengegangen. Bewegungsübungen, die der Selbstwahrnehmung dienen, versuchen, diese Sensibilität wieder zu entwickeln. Beispiele sind die Progressive Relaxation nach Jacobson, die Funktionelle Entspannung nach Fuchs oder die Konzentrative Bewegungstherapie nach Becker. Die Betonung der Selbstwahrnehmung bedeutet einen wesentlichen Unterschied zu den in der Therapie bei Rückenschmerzen meist vertretenen Konzepte der „Mobilisierung, Stabilisierung und Kräftigung“, die rein motorisch orientiert sind.

Hier bietet sich nun an, das Konzept der Förderung des Austausches zwischen linker und rechter Gehirnhemisphäre mit den psychosomatischen Vorgängen bei der Entstehung und der Therapie von Rückenschmerzen zu verbinden: Ebenso wie es für ein Gehirntraining falsch wäre, nur die irrationale linke Seite zu betonen und zu üben, ist es ebenso nicht richtig, bei Rückenschmerzen ausschliesslich auf ein Aufbautraining der Muskulatur zu setzen. Die Kombination zwischen Körpertraining und Förderung der geistig psychischen Prozesse im Sinne von Selbstwahrnehmung und verbesserter emotionaler Ausdrucksfähigkeit ist wirksam.

 

Das beidhändige Tennis fördert beide Bereiche im Sinne eines psycho-somatischen Zusammenspiels.

 

Dieses Modell bietet sich auch als Erklärungs- und Therapieansatz für andere häufige körperliche Beschwerden oder gestörte Funktionsabläufe an. Z.B. funktionelle Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems und des Magen-Darm-Bereichs, neurologische Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder psychische Entwicklungsstörungen mit körperlicher Funktionseinschränkung bei gehemmten, introvertierten Jugendlichen und Erwachsenen.

 

Prof. Dr. med. Kurt Fritzsche

Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Department of Psychosomatic Medicine and Psychotherapy

University of Freiburg